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Wir brauchen die G7 nicht

Artikel-Nr.: DE20210621-Art.14.05-2021

Wir brauchen die G7 nicht

So überflüssig wie ein Kropf

Der letzte G7-Gipfel in St. Ives/Cornwall war eine reine Verschwendung von Ressourcen. Wenn es ihn überhaupt geben muss, hätte er online stattfinden können, was Zeit, Logistikkosten und Flugemissionen gespart hätte. Aber auch darüber hinaus sind die G7-Gipfeltreffen ein Anachronismus. Die Politiker müssen aufhören, ihre Energie an eine Übung zu verschwenden, die für die heutige Weltwirtschaft nicht repräsentativ ist und deren Ziele fast völlig von den Mitteln getrennt sind, mit denen sie erreicht werden sollen, schreibt Jeffrey D. Sachs.

An diesem G7-Treffen gab es absolut nichts, was nicht auch günstiger, leichter und routinierter über Zoom hätte erreicht werden können. Das nützlichste diplomatische Treffen in diesem Jahr war Präsident Joe Bidens Online-Konferenz mit vierzig Staatschefs im April, um über den Klimawandel zu diskutieren. Internationale Online-Routinetreffen zwischen Politikern, Parlamentariern, Wissenschaftlern und Aktivisten sind wichtig. Sie vereinheitlichen die internationale Debatte.

● Warum sind die G7 irrelevant?

Aber warum sollten diese Diskussionen innerhalb der G7 stattfinden, die längst durch die G20 überflüssig gemacht wurden? Als die G7-Länder (Kanada, Frankreich, Deutschland, Italien, Japan, Großbritannien und die Vereinigten Staaten) in den 1970ern mit ihren jährlichen Gipfeltreffen begannen, dominierten sie noch die Weltwirtschaft. 1980 erwirtschafteten sie (gemessen an internationalen Preisen) 51% des weltweiten BIP, und die Schwellenländer Asiens nur 8,8%. 2021 liegen die G7-Länder bei nur noch 31%, während diese asiatischen Staaten auf 32,9% kommen.

Zu den G20 gehören auch China, Indien, Indonesien und andere große Schwellenländer. Damit repräsentieren sie 81% der weltweiten Produktion und sorgen für einen Interessenausgleich zwischen ihren reichen und weniger reichen Volkswirtschaften. Dieses Format ist nicht perfekt, da es kleinere und ärmere Länder ausschließt und auch die Afrikanische Union (AU) als Mitglied aufnehmen sollte, aber zumindest bieten die G20 eine nützliche Plattform zur Diskussion über globale Themen, die den größten Teil der Weltwirtschaft betreffen. Vieles, wofür die G7 ursprünglich gedacht waren, kann auch auf dem jährlichen EU-US-Gipfel erreicht werden.

Die G7 sind insbesondere deshalb irrelevant, weil ihre Staatschefs ihre Versprechen nicht halten. Sie halten gern symbolische Ansprachen, lösen aber ungern Probleme. Schlimmer noch, sie machen den Eindruck, globale Probleme zu lösen, während sie sie in Wirklichkeit vernachlässigen. Der Gipfel in diesem Jahr war dabei keine Ausnahme.

● Beispiel Covid-19-Impfstoffe

Nehmen wir das Thema der Covid-19-Impfstoffe: Die G7-Staatschefs haben sich zum Ziel gesetzt, mindestens 60% der Weltbevölkerung zu impfen. Außerdem haben sie versprochen, im nächsten Jahr 870 Millionen Dosen direkt mit anderen Ländern zu teilen, was reichen würde, um 435 Millionen Menschen vollständig (mit zwei Impfungen pro Person) zu immunisieren. Aber 60% der Weltbevölkerung sind 4,7 Milliarden Menschen oder etwa das Zehnfache der oben genannten Zahl.

Die G7 haben keinerlei Plan vorgestellt, wie sie ihr weltweites Impfziel erreichen wollen, und haben tatsächlich auch keinen entwickelt – obwohl das nicht schwierig wäre. Die monatliche Produktion aller COVID-19-Impfstoffe kann leicht geschätzt werden, und diese Impfdosen fair und effizient an alle Länder zu verteilen ist absolut möglich.

Ein Grund dafür, warum es keinen solchen Plan gibt, ist, dass sich die US-Regierung bis heute weigert, mit russischen und chinesischen Politikern zu reden, um eine solche globale Verteilung zu organisieren. Ein weiterer Grund ist, dass die G7-Regierungen den Impfstoffherstellern erlauben, privat und geheim zu verhandeln, anstatt sich an einen globalen Plan halten zu müssen. Und ein dritter Grund könnte sein, dass die G7 globale Ziele aufgestellt haben, ohne genug über die Bedürfnisse der einzelnen Empfängerländer nachzudenken.

● Beispiel Klimawandel

Ein weiteres Beispiel für die falschen Versprechen der G7 ist der Klimawandel. Auf dem jüngsten Gipfel haben die G7-Staatschefs zu Recht das Ziel einer globalen Dekarbonisierung bis 2050 bestätigt und die Entwicklungsländer aufgerufen, sich ihnen anzuschließen. Aber statt einen Finanzplan aufzustellen, mit dem den Entwicklungsländern geholfen werden kann, dieses Ziel zu erreichen, wiederholten sie ein Versprechen, dass sie bereits 2009 gegeben und nie erfüllt hatten: „Wir bestätigen das gemeinsame Ziel der Industrieländer“, beteuerten sie, „hinsichtlich bedeutsamer Eindämmungsmaßnahmen und transparenter Umsetzung gemeinsam bis 2025 jährlich 100 Milliarden Dollar aus öffentlichen und privaten Quellen zu mobilisieren.“

Dieses häufig wiederholte Versprechen könnte kaum zynischer sein: Ihre eigene Frist (2020) für die Bereitstellung dieser längst versprochenen 100 Milliarden Dollar im Jahr – nur 0,2% ihres BIP – haben die reichen Länder bereits verpasst. Und die Summe selbst ist nur ein Bruchteil dessen, was die Entwicklungsländer zur Dekarbonisierung und zur Anpassung an den Klimawandel wirklich benötigen.

Die Diskrepanz zwischen den hochtrabenden Zielen und den mageren Maßnahmen der G7 ist auch im Bereich der Ausbildung offensichtlich: Hunderte Millionen Kinder in armen Ländern können keine Grundschulen und weiterführenden Schulen besuchen, da ihre Regierungen nicht genug Mittel haben, um Lehrer, Klassenräume und Lehrmaterial zu bezahlen. 2020 hat die UNESCO geschätzt, dass die Länder mit geringem und mittlerem Einkommen bis 2030 jährlich etwa 504 Milliarden Dollar brauchen, um zu gewährleisten, dass alle Kinder eine weiterführende Schulausbildung abschließen können. Tatsächlich zur Verfügung stehen ihren aber nur 356 Milliarden, was eine Finanzierungslücke von etwa 148 Milliarden im Jahr bedeutet.

● Nichts als heiße Luft

Also, was versprechen die G7 in ihrer diesjährigen Verlautbarung? Die Staatchefs setzen sich „ein Ziel, 40 Millionen mehr Mädchen eine Schulausbildung zu ermöglichen und mindestens 2,75 Milliarden Dollar in die Globale Ausbildungspartnerschaft einzuzahlen“. Dies sind keine seriösen Zahlen. Sie sind heiße Luft und würden Millionen von Kindern weiterhin keinen Schulbesuch ermöglichen – obwohl sich die Welt (im vierten Ziel Nachhaltiger Entwicklung (ZNE)) genau dazu verpflichtet hat. Dabei gibt es für dieses Problem umfassende Lösungsmöglichkeiten – wie die Mobilisierung niedrig verzinster Mittel über multilaterale Entwicklungsbanken. Vorgeschlagen haben die G7-Staatschefs aber nichts dergleichen.

Die Probleme der Welt sind viel zu dringend, um sie auf leere Versprechen zu reduzieren – und auf Maßnahmen, die lediglich ein Symbol dafür sind, was wirklich benötigt wird, um die angeblichen Ziele zu erreichen. Wäre Politik nur ein Zuschauersport, wo derjenige Politiker gewinnt, der am besten in die Kamera schaut, wären die G7 möglicherweise relevant. Aber wir müssen dringende globale Bedürfnisse erfüllen – eine Pandemie beenden, das Energiesystem dekarbonisieren, Kindern den Schulbesuch ermöglichen und die ZNE erreichen.

Meine Empfehlungen: weniger persönliche Treffen; mehr ernsthafte Hausaufgaben, um Programme und Ziele miteinander zu verbinden; mehr routinemäßige Zoom-Treffen, um zu diskutieren, was tatsächlich getan werden muss; und eine stärkere Beteiligung der G20 (gemeinsam mit der AU) – einer Gruppe, die wirklich Sachen erledigen kann. Wollen wir die weltweiten Probleme tatsächlich lösen, müssen Asien, Afrika und Lateinamerika mit am Tisch sitzen.

Prof. Jeffrey D. Sachs ist Direktor des Center for Sustainable Development at Columbia University und Präsident des UN Sustainable Development Solutions Network. Er hat als Berater von drei UN-Generalsekretären und ist gegenwärtig SDG-Berater für UN-Generalsekretär António Guterres. © und Übersetzung: Project Sydicate.

Empfohlene Zitierweise:
Jeffrey D. Sachs, Wir brauchen die G7 nicht. So überflüssig wie ein Kropf, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (weltwirtschaft-und-entwicklung.org), Luxemburg, 21.6.2021