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Der UN-Ernährungsgipfel als Trojanisches Pferd?

Artikel-Nr.: DE20210731-Art.19.07-2021

Der UN-Ernährungsgipfel als Trojanisches Pferd?

Eine Stimme aus dem Süden

Zweifellos braucht die Welt eine Reform der existierenden Ernährungssysteme. Doch der Welternährungsgipfel der Vereinten Nationen (UNFSS: United Nations World Food Systems Summit) muss vereinbar sein mit einem UN-geführten Multilateralismus. Unterdessen ist das Weltwirtschaftsforum (WEF) – eine Plattform der mächtigsten Konzerne der Welt – erstmals eine Partnerschaft mit den UN in Vorbereitung des Gipfels eingegangen, der jetzt für September geplant ist. Ein Kommentar von Jomo Kwame Sundaram.

Ernährungsunsicherheit ist vor allem der Ungleichheit und dem Mangel geschuldet, da den Opfern die Mittel fehlen, an die Nahrungsmittel zu kommen, die sie brauchen. Die UN sollten nicht denen dienen, die zynischerweise Hunger, Not und Mangel nutzen, um private kommerzielle Interessen zu fördern.

● UN-geführter Multilateralismus in Nöten

Der Zusammenbruch der Sowjetunion, das Ende des Kalten Krieges und die scheinbar unangefochtene US-Dominanz in den 1990er Jahren stellten neue Bedrohungen für den UN-geführten Multilateralismus dar. Die Welthandelsorganisation wurde 1995 außerhalb des UN-Systems errichtet. Später wurde eine zweite Amtszeit des ‚unbequemen‘ Generalsekretärs Boutros-Ghali verhindert.

Die vier UN-Entwicklungsdekaden seit den 1960er Jahren mündeten in der pathetischen, vom UN-Sekretariat verfassten Millenniumsdeklaration – ohne die Beteiligung der Mitgliedsländer. Die Millennium-Entwicklungsziele (MDGs) wurden bei nur geringfügiger Konsultation der Mitgliedsstaaten vom UN-Entwicklungsprogramm ausgearbeitet.

Der wachsende Einfluss der Konzerne im UN-System bekam einen großen Schwung mit dem Globalen Pakt (‚Global Compact‘) der UN. Solcher Einfluss hat die Governance der UN-Agenturen beeinträchtigt, was jetzt daran sehr deutlich wird, wie die Weltgesundheitsorganisation kämpfen muss, um die Pandemie einzudämmen. Schwierige Verhandlungen folgten auf die wachsende Unzufriedenheit der Entwicklungsländer mit den MDGs, zumal die 2009 versprochene Klimafinanzierung nicht geliefert wurde und man beim Kampf gegen die globale Finanzkrise und ihre Folgen versagte. Zwar genießt der SDG-Kompromiss mehr Legitimität als die MDGs. Doch die Erreichung der Agenda 2030 wurde von Beginn an unterminiert, da die die reichen Länder auf der 3. UN-Konferenz für Entwicklungsfinanzierung Mitte 2015 die notwendige Finanzierung blockierten.

● Wie ein Gipfel UN-Prozesse umgeht

In den letzten Dutzend Jahren nach der Lebensmittelpreisexplosion von 2008 wurde der UN-Ausschuss für Welternährungssicherheit (CFS) zu einem inklusiven Forum für die Zivilgesellschaft und ökonomische Interessen, in dem die besten Wege zu besserer Ernährungssicherheit diskutiert werden konnten. Auch mit den Ernährungssystemen hat sich der CFS lange befasst, was nicht überraschend ist.

Das Hochrangige Experten-Panel (HLPE) des CFS ist weithin anerkannt als kompetentes Gremium, das ausgewogene und umfassende Berichte zu Fragen, die gegenwärtig und wahrscheinlich auch zukünftig von Belang sind, erstellt hat. Im UN-System wird der CFS nun als vorbildliches Modell für ‚Multistakeholder‘-Engagement gesehen. Doch der Gipfel umging den CFS von Anfang an.

Nach einer nominellen Anfrage beim UN-Generalsekretär wurden Gipfelprozesse gemeinhin von einer kleinen, weitgehend niemandem verantwortlichen geschlossenen Gesellschaft aufs Gleis gesetzt. Die UNFSS-Organisatoren gingen ursprünglich ohne die Partizipation repräsentativer Stakeholder vor, bis deren Intervention schließlich zu mehr Konsultation führte. Doch hauptsächlich durch das WEF und einige wichtige Partner finanziert, blieben sie denen verbunden, die die Musik bezahlten. So förderten sie hauptsächlich angeblich ‚game-changing‘, ‚skalierbare‘ und investitionsfördernde Lösungen, die sie als technologische Verbesserungen anpriesen.

● Agro-ökologische Innovation

Ein HLPE-Report hat die Agroökologie oder ‘naturgestützte Lösungen’ als positiv eingeschätzt. Viele Wissenschaftler haben jahrelang mit Nahrungsmittelproduzenten daran gearbeitet, Nahrungsmittelproduktivität. Output, Diversität und Widerstandsfähigkeit durch bessere agroökologische Methoden zu steigern, um so die Kosten zu senken und die Nachhaltigkeit zu steigern.

Die Belege sind unumstritten, dass die Agroökologie weit bessere Ergebnisse als die Innovationen der ‚Grünen Revolution‘ geliefert hat. Eine Umfrage unter fast 300 großen ökologischen Agrarprojekten in über 50 armen Ländern hat steigende bäuerliche Einkommen dank niedrigerer Kosten und einem 70%igen Produktivitätsanstieg festgestellt.

Dies steht im Gegensatz zu den Ergebnissen der Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika (AGRA), die 2006 ins Leben gerufen wurde. Mit Finanzmitteln der Gates- und Rockefeller-Stiftungen versprach sie, die Erträge zu verdoppeln und die Einkommen von 30 Mio. kleinbäuerlichen Haushalten bis 2020 zu erhöhen. Trotz hoher Regierungsausgaben stiegen die Erträge kaum, und die ländliche Armut wuchs.

Agroökologische Innovationen haben sich als wirksam gegen Befall erwiesen. So stellten sie sicherere, effektivere Biopestizide bereit, die keine nützlichen Insekten oder Mikroben töten, ebenso wie nicht-giftige Alternativen zu agrochemischen Pestiziden. Die UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) veranstaltete 2014 ihr erstes Internationales  Agroökologie-Symposium, bevor sie entschied, Agroökologie stärker auszubauen. Doch für Kip Tom, den Vertreter von US-Präsident Trump, war die FAO damit nicht länger „wissenschaftsbasiert“.

● Dämonisierung der Agroökologie

Die Gates Foundation hat die Cornell Alliance for Science finanziert, angeblich um „die GMO-Debatte zu entpolarisieren“, und zwar durch die Bereitstellung von Bildung in „fortgeschrittener landwirtschaftlicher Biotechnologie-Kommunikation“. Die Schrift „Why traditional agricultural practices can’t transform African agriculture“ ist nur ein Beispiel für solches als wissenschaftlich maskiertes Propaganda-Sponsoring.

Gut ausgestattete Lobbyisten nutzen den UNFSS, um Unterstützung und Legitimität für ihre kommerzielle Agenda zu sichern. Mit schier grenzenlosen Mitteln stachelt ihre Advocacy-Arbeit regelmäßig ‚Public-private partnership‘- und ‚science, technology and innovation‘-Rhetoric an.

Zu mehr Inklusivität gezwungen, nutzen die Gipfelorganisatoren nun ‚Lösungscluster‘ für ihre Advocacy-Arbeit. Dann schaffen sie breite ‚Multistakeholder‘-Koalitionen, um die intendierten Lösungen mit dem Unterstützungssiegel der UNFSS zu fördern.

Während es starke und zunehmende Belege für den Fortschritt und das Potential der Agroökologie gibt, ist die Gegenpropaganda dazu in den letzten Jahren gewachsen. Agroökologie-Befürworter werden karikiert als ‚Ökoimperialisten im Stil der Ludditen‘, die ‚Afrika am Abgrund des Hungers halten‘ und Farmer zu ‚Armut, Fehlernährung und Tod‘ verdammen. Ein Consultant für Public Relations hat die Agroökologie-Anhänger als „das Gesicht eines ‚grünen‘ Neokolonialismus“ angeklagt, das „bäuerliche Arbeit und rückwärtsgewandtes Subsistenz-Farming idealisiert“ und die „Erfolge der Grünen Revolution“ bestreitet.

Dabei sind Agroökologie-Lösungen die hauptsächlichen, wenn nicht die einzigen Methoden, die mit dem überragenden Bekenntnis der UN zu naschhaltiger Entwicklung konsistent sind. Doch die Propagandisten porträtieren sie als uninformierte Hindernisse für landwirtschaftlichen und sozialen Fortschritt. Solche offenkundigen Irreführungen blockieren die notwendigen Reformen am Ernährungssystem.

Der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung Michael Fakhri hat die Sondergesandte des UNFSS Agnes Kalibata gewarnt, dass Agroökologie als rückständig verunglimpft wird, wo sie doch für den Gipfel zentral sein sollte. Als derzeitige Präsidentin von AGRA mit ihrem besonderen Engagement für die notwendige Reform des Ernährungssystems befindet sie sich in einer unmöglichen Position.

● Der beste Gipfel gegen Geld?

Investitionen in den Gipfel sichern Legitimität und mehr Ressourcen von Regierungen, dem UN-System, privaten Stiftungen und anderen, um deren kommerzielle Agenden zu fördern. Unterdessen arbeiten viele im guten Vertrauen darauf, das Beste aus dem UN-Gipfel zu machen. Nichtsdestotrotz stellt er einen gefährlichen Präzedenzfall für das UN-System dar. Er hat in kurzer Zeit eine Hintertür geöffnet, die dem konzerngesteuerten ‚Multi-stakeholderism‘ gestattet, die über Jahrzehnte hinweg unter der multilateralen Aufsicht der Mitgliedsstaaten entwickelten, erprobten und inklusiven ‚Multistakeholder‘-Arrangements zu unterminieren.

Die UNFSS-Wissenschafftstage, die am 8./9. Juli stattfanden, haben gezeigt, dass der Gipfel dazu genutzt werden soll, ein neues Panel für Ernährungswissenschaften zu etablieren. Dies wird das HLPE und letztlich auch den CFS schwächen. Somit erscheint der UNFSS wie ein Trojanisches Pferd, um besondere Konzerninteressen voranzubringen und unumkehrbar das zu untergraben, was UN-geführter Multilateralismus bedeutet.

Da sowohl der CFS als auch das HLPE erfolgreiche UN-Institutionen sind, wird der Gipfel unvermeidbar seine eigenen Errungenschaften unterminieren. Somit repräsentiert der UNFSS für viele Mitgliedsstaaten und zivilgesellschaftliche Organisationen einen Schritt zurück statt einen nach vorne.

Jomo Kwame Sundaram war Ökonomie-Professor, Assistenz-Generalsekretär der Vereinten Nationen für Wirtschaftliche Entwicklung und wurde mit dem Wassily Leontief Prize for Advancing the Frontiers of Economic Thought ausgezeichnet. Der Beitrag (© IPS) ist eine deutschsprachige Erstveröffentlichung.